Stell dir vor, du bist mitten in Ho-Chi-Minh-Stadt, umgeben vom unaufhörlichen Summen der Motorroller, dem Duft von Streetfood und der Hitze, die auf deiner Haut liegt. Dann biegst du in eine Seitenstraße ein, und plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, wird es leiser. Ruhiger. Vor dir erhebt sich ein Gebäude, dessen Dach sich sanft nach oben wölbt, verziert mit kunstvollen Drachen und mythologischen Figuren. Das ist sie: die Jade-Kaiser-Pagode. Wenn du durch das große Tor trittst, spürst du sofort, wie die stickige Stadtluft einem kühleren, würzigen Schleier weicht. Es riecht nach alten Hölzern, nach dem süßlichen Rauch von Hunderten von Räucherstäbchen, die in großen Sandgefäßen glimmen. Du hörst kein Hupen mehr, nur ein leises Murmeln, das Flüstern von Gebeten und das Knistern der brennenden Opfergaben. Dein Blick fällt auf die üppigen Pflanzen im Innenhof, das Grün ist eine Wohltat für die Augen. Beginnen würde ich hier, im Hof, um anzukommen, durchzuatmen und diese Stille aufzusaugen, bevor du überhaupt einen Schritt nach drinnen machst. Lass die Stadt draußen.
Vom Hof aus gehst du direkt in die Haupthalle. Hier ist das Licht gedämpft, taucht alles in einen warmen, goldenen Schein, der von den unzähligen Kerzen und Öllampen ausgeht. Stell dir vor, wie das Licht auf den vergoldeten Statuen tanzt, Schatten wirft und wieder verschwinden lässt. Du spürst die Energie der Gläubigen, die hier beten, Opfergaben darbringen. In der Mitte thront der Jadekaiser, Thien Vu, umgeben von seinen Wächtern. Seine Präsenz ist monumental, fast überwältigend. Nimm dir einen Moment, um die Details seiner Gewänder, die feinen Gesichtszüge zu betrachten. Es ist ein Ort der tiefen Ehrfurcht. Ein kleiner Tipp: Sei respektvoll leise, sprich nur im Flüsterton und schalte dein Handy auf lautlos. Hier geht es nicht um Fotos, sondern um das Gefühl, das dich umgibt. Du brauchst keine Kamera, um das hier zu speichern.
Gleich rechts von der Haupthalle, in einem separaten Raum, findest du die Halle der Zehn Höllen. Das ist ein Ort, der unter die Haut geht und nichts für zartbesaitete Gemüter ist. Wenn du empfindlich bist, was drastische Darstellungen angeht, könntest du diesen Raum überspringen. Aber wenn du ein tieferes Verständnis für die buddhistische Vorstellung von Karma und Wiedergeburt bekommen möchtest, dann geh hinein. Die Luft ist hier noch dichter, schwerer. Du siehst Skulpturen, die die verschiedenen Stadien der Hölle darstellen, mit all ihren Qualen und Bestrafungen für Sünden im Leben. Die Details sind drastisch, manchmal verstörend, aber sie erzählen eine kraftvolle Geschichte über Moral und Konsequenzen. Du spürst die Schwere der dargestellten Szenen, die Ernsthaftigkeit der Botschaft. Es ist ein Ort zum Nachdenken, nicht zum Schmunzeln.
Danach, um wieder etwas Leichtigkeit zu finden, folge dem Weg durch die Haupthalle hindurch oder außen herum zur Halle der Kuan Yin, der Göttin der Barmherzigkeit. Diesen Raum würde ich mir bis zum Schluss aufheben, weil er eine so tröstliche, beruhigende Atmosphäre hat. Hier ist das Licht oft heller, weicher, vielleicht fällt sogar ein Sonnenstrahl durch ein Fenster. Du spürst eine sanfte Wärme, eine Güte, die von der Statue der Kuan Yin ausgeht, die oft von Lotusblüten und frischen Blumen umgeben ist. Es ist ein Ort, an dem Menschen um Trost und Hoffnung bitten. Vielleicht siehst du alte Frauen, die ihre Hände falten, oder junge Paare, die um Segen bitten. Die Stimmung ist hier eine ganz andere als in der Halle der Höllen – hier geht es um Vergebung und Mitgefühl. Es ist ein schöner Ort, um deinen Besuch mit einem Gefühl der Ruhe und des Friedens abzuschließen.
Wenn du dann die Pagode wieder verlässt und zurück auf die Straße trittst, wirst du merken, wie die Geräusche und Düfte der Stadt wieder lauter werden, aber sie können dir nichts mehr anhaben. Du trägst die Stille und den Frieden der Pagode noch eine Weile in dir. Nimm dir einen Moment, um im Hof noch einmal durchzuatmen, bevor du dich wieder ins Gewimmel stürzt. Das ist der Moment, in dem die Magie wirklich nachwirkt.
Alles Liebe,
Léa vom Wegesrand