Okay, stell dir vor, du stehst mitten im pulsierenden Herzen von Shinjuku, wo die Neonlichter tanzen und der Lärm der Stadt wie ein ständiger Begleiter ist. Du hörst das Summen der Menschenmassen, das Hupen der Taxis, das endlose Gemurmel. Und dann, ganz plötzlich, biegst du um eine Ecke – und der Lärm beginnt zu schrumpfen, zieht sich zurück wie eine Welle. Du trittst durch ein leuchtend rotes Tor, das sich wie ein Portal anfühlt, und spürst, wie die Luft um dich herum kühler und klarer wird. Der Asphalt weicht kleinen Steinen unter deinen Füßen, und mit jedem Schritt wird die Stille tiefer, nur unterbrochen vom leisen Rascheln der Blätter und dem fernen Echo der Stadt, das jetzt nur noch ein Flüstern ist. Du atmest tief ein und fängst den subtilen Duft von Holz, Erde und vielleicht einem Hauch von Weihrauch ein. Hier, direkt vor dir, breitet sich der Hanazono Jinja aus – ein Ort, an dem die Zeit anders tickt. Du bist angekommen.
Sobald du durch dieses erste Tor bist, folgst du einem breiten Weg, der sich sanft zwischen hohen Bäumen schlängelt, deren Kronen das Sonnenlicht filtern und ein gesprenkeltes Muster auf den Kiesweg werfen. Du spürst, wie die kleinen Steine unter deinen Sohlen knirschen, ein beruhigendes Geräusch, das dich tiefer in diese Oase zieht. Links und rechts siehst du Reihen alter Steinlaternen, deren Moose und Flechten Geschichten von Jahrhunderten erzählen. Wenn du die Hand über die raue Oberfläche gleiten lässt, fühlst du die Kühle des Steins. Du gehst weiter, vorbei an kleineren Schreinen, die sich bescheiden unter den Bäumen verstecken, jeder mit einer eigenen kleinen Stille. Hier und da hörst du das leise Summen einer Biene oder das Zwitschern eines Vogels. Du merkst, wie dein Blick nach oben wandert, zu den kunstvoll geschnitzten Dächern der Hauptgebäude, deren dunkles Holz und rote Akzente einen warmen Kontrast zum Grün der Bäume bilden. Du kannst einfach nur gehen, schauen und die Ruhe auf dich wirken lassen.
Wenn du den Hauptschrein erreichst, wirst du merken, wie sich die Energie ändert – nicht laut, aber spürbar. Hier versammeln sich die Menschen, um ihre Gebete darzubringen. Du siehst, wie sie vor einem großen, glänzenden Kasten stehen, der Opfergaben entgegennimmt. Wenn du möchtest, kannst du es ihnen gleichtun: Wirf eine Münze in den Kasten – das leise Klirren hallt kurz nach – ziehe an dem dicken Seil, das eine Glocke läutet, um die Götter aufmerksam zu machen, verbeuge dich zweimal tief, klatsche zweimal in die Hände, um deine Seele zu reinigen, sprich dann deine Gedanken oder Wünsche still aus und verbeuge dich ein letztes Mal. Es ist eine einfache, aber kraftvolle Geste. Direkt daneben findest du oft kleine Stände. Dort kannst du ein Omikuji ziehen, eine Papierweissagung. Du fühlst das dünne Papier in deinen Händen, wenn du es vorsichtig entfaltest und liest, was dir das Schicksal voraussagt. Ist es eine gute Botschaft, nimmst du es mit; ist es eine schlechte, bindest du es an eine der dafür vorgesehenen Leinen, damit der Wind sie davonträgt und das Pech verweht. Oder du kaufst eine Ema, eine kleine Holztafel, auf die du deine Wünsche schreibst, bevor du sie an den dafür vorgesehenen Platz hängst, wo sie sich zu Hunderten anderer Tafeln gesellt, ein Meer aus Hoffnungen und Träumen.
Bevor du gehst, nimm dir noch einen Moment, um die kleineren Pfade zu erkunden, die vom Hauptweg abzweigen. Du folgst einem schmalen Pfad, der dich zu einem versteckten Inari-Schrein führt, wo Hunderte von kleinen roten Torii-Toren dicht an dicht stehen und einen Tunnel bilden. Wenn du hindurchgehst, fühlst du dich wie in einer anderen Welt, und das Rot der Tore leuchtet intensiv im Schatten. Überall siehst du kleine Fuchsstatuen, die Boten des Inari-Gottes, manchmal mit einem Lätzchen oder einer Opfergabe geschmückt. Der Geruch hier ist vielleicht etwas erdiger, feuchter, da weniger Sonnenlicht durchdringt. Wenn du Glück hast, erlebst du den Schrein an einem Sonntag mit dem Antikmarkt – dann füllt sich der Platz mit einem anderen Leben, dem Geruch von altem Holz und Papier, dem Gemurmel der Verkäufer und dem leisen Klirren von Keramik. Oder du kommst an einem Abend, wenn die Laternen angezündet werden und die Atmosphäre eine ganz andere, magische Stille annimmt, in der die roten Tore noch intensiver leuchten. Es ist ein Ort, der sich immer wieder neu anfühlt, je nachdem, wann du ihn besuchst. Und wenn du dann den Schrein wieder verlässt und die Stadt dich langsam wieder umfängt, wirst du merken, dass ein Stück dieser Ruhe mit dir geht.
Bis bald auf der nächsten Reise,
Lina vom Weg