Du fragst dich, was man im Meiji Jingu eigentlich *macht*? Stell dir vor, du stehst mitten im pulsierenden Tokio, die Lichter blitzen, die Menschenmassen schieben sich vorbei, das Summen der Stadt ist überall. Dann drehst du ab, nur ein paar Schritte von der Harajuku Station entfernt, und plötzlich ändert sich alles. Du betrittst einen riesigen Torii-Bogen aus dunklem Holz, so hoch, dass du den Kopf in den Nacken legen musst, um ihn ganz zu erfassen. Sofort spürst du, wie die Geräusche der Stadt leiser werden, fast wie ein Schalter, der umgelegt wird. Die Luft wird kühler, riecht nach feuchter Erde und alten Bäumen. Deine Füße treten auf feinen Kies, der leise unter dir knirscht, und jeder Schritt auf diesem Weg ist wie ein Ausatmen, das dich tiefer in eine andere Welt zieht.
Du gehst weiter, deine Schritte knirschen rhythmisch auf dem langen Kiesweg, der sich sanft durch einen dichten Wald schlängelt. Rechts und links ragen Zedern und Kampferbäume auf, so alt und hoch, dass ihre Kronen den Himmel fast verdecken und nur noch einzelne Sonnenstrahlen bis zum Boden durchlassen. Es ist angenehm kühl hier, selbst an einem warmen Tag. Du spürst die Ruhe, die von diesen alten Riesen ausgeht, eine Stille, die nur vom leisen Zwitschern der Vögel oder dem sanften Rascheln der Blätter unterbrochen wird. Deine Augen folgen dem Weg, der sich vor dir ausbreitet, und dann siehst du sie – hohe Stapel von Sake-Fässern, kunstvoll aufgeschichtet, und auf der anderen Seite Fässer mit französischem Wein, ein Geschenk an den Kaiser. Sie wirken surreal in dieser Umgebung, ein farbenfroher Kontrast zum Grün und Braun des Waldes, und du kannst fast den Geist der Gemeinschaft und des Austauschs spüren, der von ihnen ausgeht.
Nach dem langen Weg öffnet sich der Raum und du stehst vor dem Hauptschrein. Bevor du die Gebetshalle betrittst, siehst du ein kleines Wasserbecken, das Temizuya. Hier spülst du dir die Hände und den Mund, ein einfacher, aber bedeutungsvoller Akt der Reinigung. Du nimmst die hölzerne Schöpfkelle, das Wasser ist kühl und klar auf deiner Haut. Du siehst, wie andere es tun, ihre Bewegungen sind ruhig und respektvoll. Dann näherst du dich der Gebetshalle. Der Duft von Holz und etwas Weihrauch liegt leicht in der Luft. Du siehst Menschen, die vor dem Altar stehen: Sie werfen eine Münze in die Opferkiste, verbeugen sich zweimal tief, klatschen zweimal in die Hände – ein klarer, heller Klang, der die Stille durchbricht – und verbeugen sich dann noch einmal. Es ist ein Moment der Konzentration, des Wünschens oder Dankens, der dich ganz einnimmt. Du spürst die kollektive Energie der stillen Gebete um dich herum.
Vielleicht zieht es dich nach all der Ruhe noch tiefer in die grüne Umarmung des Schreins. Der Innere Garten, der Meiji Jingu Gyoen, ist ein separater Schatz, den viele übersehen. Hier atmet die Luft anders, sie ist erfüllt von süßen, erdigen Düften, besonders wenn die Irisblüten im Frühsommer in voller Pracht stehen. Du folgst kleinen Pfaden, die sich durch üppiges Grün winden, vorbei an einem ruhigen Teehaus und einem friedlichen Teich. Du hörst das leise Plätschern von Wasser, das Zirpen der Zikaden im Sommer und vielleicht das Quaken von Fröschen. Es ist ein Ort, an dem du dich hinsetzen, die Augen schließen und die Natur mit jedem Atemzug in dich aufnehmen kannst. Es kostet einen kleinen Eintritt, aber es ist wie ein letzter, tiefer Atemzug der Stille, bevor du wieder in die Stadt eintauchst.
Bevor du den Schreinbereich verlässt, wirst du eine Wand sehen, an der unzählige kleine Holztafeln hängen, die sogenannten Ema. Auf ihnen sind Wünsche und Gebete geschrieben. Du kannst dir eine kaufen, deine eigenen Hoffnungen oder Danksagungen darauf schreiben und sie dann zu den anderen hängen. Es ist ein bewegendes Bild, all diese handschriftlichen Träume, die im Wind flattern. Nebenan gibt es oft auch die Möglichkeit, ein Omikuji zu ziehen – ein kleines Papierglück. Du schüttelst eine Holzbox, ziehst einen Stab mit einer Zahl und bekommst dann die entsprechende Prophezeiung. Es ist kein Glück oder Unglück im westlichen Sinne, sondern eher eine Lebensregel oder ein Ratschlag für die Zukunft. Du spürst die Neugier und die leise Hoffnung, die von den Menschen ausgeht, die ihre Omikuji entfalten.
Wenn du den Rückweg antrittst, spürst du immer noch diese tiefe Ruhe in dir. Die Schritte auf dem Kies knirschen immer noch, aber jetzt bist du es, der die Stille mit in die Stadt trägt. Du merkst, wie die Geräusche der Metropole langsam wieder lauter werden, aber sie können dir nichts anhaben. Der Meiji Jingu ist kein Ort, den man "besichtigt", es ist ein Erlebnis, das man *fühlt*. Plane mindestens eineinhalb bis zwei Stunden ein, um die Ruhe wirklich aufzusaugen, und wenn du die Massen meiden willst, sei früh am Morgen da – dann gehört dir der Ort fast allein.
Bis zum nächsten Abenteuer,
Léa von der Straße