Stell dir vor, es ist noch früh am Morgen in Venedig, die Stadt schläft noch in einem leisen Summen. Du gehst durch schmale Calli, die feuchte Luft küsst deine Haut, trägt den Geruch von Salzwasser und altem Stein mit sich. Dann, ganz plötzlich, hörst du es. Ein fernes Murmeln, das langsam zu einem lebhaften Stimmengewirr anschwillt. Du näherst dich dem Mercato di Rialto, dem Herzschlag Venedigs am Morgen. Hier, wo der Fischmarkt zum Leben erwacht, spürst du die Energie der Stadt, bevor die Touristenmassen erwachen. Es ist ein Ort, der mit allen Sinnen erlebt werden muss – die kühle Brise vom Kanal, die Geräusche der Händler, die ihre Ware anpreisen, das Gefühl von nassen Steinen unter deinen Füßen.
Du gehst weiter, und der Geruch von frischem Fisch wird intensiver, aber nicht unangenehm. Er ist salzig, klar, ein Versprechen von Meer. Stell dir die Szenerie vor: Reihen über Reihen von Auslagen, gefüllt mit dem Fang der Nacht. Glänzende Sardinen, riesige Tintenfische mit hypnotischen Augen, Muscheln, die noch leise knistern, als würden sie atmen. Die Händler rufen ihre Preise aus, ein melodisches, rhythmisches Geplapper, das sich mit dem Klappern von Eis und dem gelegentlichen Spritzen von Wasser mischt. Mein Tipp: Komm früh, am besten zwischen 7 und 9 Uhr. Dann ist die Auswahl am größten und die Atmosphäre am authentischsten. Du musst nichts kaufen, aber schau den Venezianern zu, wie sie ihren Einkauf erledigen – es ist wie eine Choreografie, die sich seit Jahrhunderten nicht verändert hat. Fühl die kühle Feuchtigkeit in der Luft, hör das lebhafte Treiben, das ist Venedig pur.
Gleich neben dem Fischmarkt, nur wenige Schritte entfernt, beginnt der Obst- und Gemüsemarkt. Hier ändert sich die Geruchskulisse schlagartig. Statt Meer riechst du jetzt die Süße reifer Pfirsiche, das erdige Aroma frischer Kräuter und den scharfen Duft von Zitronen. Die Farben explodieren förmlich vor deinen Augen: leuchtend rote Tomaten, grüne Artischocken, die typisch für die Region sind, und Berge von saftigen Orangen. Es ist ein Fest für die Sinne, ein Beweis für die Fruchtbarkeit des Landes, das Venedig umgibt. Hier könntest du dir eine kleine Tüte mit frischen Beeren oder eine saftige Nektarine gönnen – ein perfekter, gesunder Snack für unterwegs. Fühl die raue Schale einer Zitrone, die weiche Haut einer Feige. Das ist der Geschmack Venedigs abseits der Restaurants.
Wenn du den Markt durchquert hast, folge dem Fluss der Menschen ein wenig und du wirst kleine Bacari entdecken, die sich in den Gassen verstecken. Das sind winzige, traditionelle Bars, oft nicht viel größer als ein Wohnzimmer, wo die Einheimischen ihren Morgenkaffee trinken oder schon die ersten Cicchetti, kleine venezianische Snacks, genießen. Stell dir vor, du lehnst an einem Stehtisch, in der Hand einen starken Espresso oder einen Spritz, und spürst die Wärme der Tasse. Hör das Lachen und die Gespräche der Venezianer um dich herum, das leise Klirren von Gläsern. Hier kannst du das geschäftige Treiben des Marktes noch nachklingen lassen, aber schon in einer entspannteren, lokalen Atmosphäre. Das ist der perfekte Übergang vom Trubel zur venezianischen Gemütlichkeit.
Für deinen Besuch am Rialto-Markt würde ich dir vorschlagen, direkt über die Rialtobrücke auf die Seite des Marktes zu gehen. Starte am besten am Fischmarkt (Pescheria), um die volle Pracht der Auslagen zu erleben. Danach schlenderst du weiter zum angrenzenden Obst- und Gemüsemarkt (Erberia). Was du überspringen könntest, sind die überteuerten Souvenirstände direkt an der Brücke – die findest du überall. Spar dir für den Schluss auf, in einem der kleinen Bacari in den Gassen rund um den Markt einen Caffè oder einen Ombra (ein kleines Glas Wein) zu genießen. Setz dich, nimm dir Zeit, die Menschen zu beobachten, die den Markt verlassen, beladen mit ihren Einkäufen. Das ist mein persönlicher Lieblingsmoment: das Nachglühen der Markterfahrung, wenn der Trubel langsam abebbt und du dich wie ein echter Venezianer fühlst.
Olya from the backstreets