Stell dir vor, du bist in Tiflis und möchtest einen Ort besuchen, der nicht nur hoch über der Stadt thront, sondern auch dein Innerstes berührt. Der Weg zur Sameba-Kathedrale beginnt oft mit einer Fahrt, die dich langsam aus dem Gewirr der engen Gassen hebt. Du spürst, wie die Luft kühler und klarer wird, während sich die Stadt unter dir immer weiter ausbreitet, ein Flickenteppich aus alten Dächern und modernen Lichtern. Dann, ganz plötzlich, taucht sie auf: eine goldene Kuppel, die im Sonnenlicht funkelt, so groß und majestätisch, dass du unwillkürlich den Atem anhältst. Es ist nicht nur ein Anblick, es ist ein Gefühl von Weite und Erhabenheit, das dich ergreift, noch bevor du überhaupt den Fuß auf das Gelände gesetzt hast.
Du gehst durch die riesigen Tore, und sofort ändert sich die Akustik. Das Geräusch der Stadt verstummt, ersetzt durch eine seltsame Stille, die nur vom leisen Rascheln der Blätter in den Bäumen oder dem fernen Glockenläuten durchbrochen wird. Der Boden unter deinen Füßen ist glatt geschliffener Stein, kühl und fest. Du spürst die unendliche Weite des Platzes, wie er sich vor dir ausbreitet, umgeben von gepflegten Gärten und kleineren Kapellen. Die Gebäude sind aus hellem Stein, der in der georgischen Sonne fast leuchtet, und die Luft ist erfüllt von einem undefinierbaren, reinen Geruch – vielleicht von Pinien, vielleicht von der frischen Brise, die hier oben weht. Es ist ein Ort, der dich einlädt, langsamer zu werden, tief durchzuatmen und einfach nur zu sein.
Wenn du dann die schweren Holztüren der Hauptkathedrale öffnest und hineintrittst, umfängt dich sofort eine andere Welt. Die kühle, schwere Luft schlägt dir entgegen, und der Duft von altem Holz, Bienenwachs und vor allem Weihrauch liegt in der Luft, dicht und betörend. Dein Blick schießt unwillkürlich nach oben, in die unendliche Höhe der Kuppel, wo winzige Lichtstrahlen durch die hohen Fenster fallen und den Staub in der Luft tanzen lassen. Die Wände sind mit Ikonen und Fresken geschmückt, deren Gold in der gedämpften Beleuchtung sanft glänzt. Du hörst nur ein leises Gemurmel, das Flüstern von Gebeten, das Knistern von Kerzen und ab und zu das Echo eines einzelnen Schrittes. Es ist ein Ort der tiefen Andacht, der dich mit seiner schieren Größe und der Atmosphäre der Ehrfurcht ganz klein werden lässt, aber gleichzeitig eine tiefe Ruhe in dir weckt.
Schau dich um und beobachte die Menschen. Du wirst sehen, wie sie sich langsam durch den Raum bewegen, wie sie vor den Ikonen innehalten, manche die Köpfe in stiller Andacht gesenkt. Viele zünden Kerzen an, kleine Flammen, die in einem sandgefüllten Behälter flackern und den Raum mit einem zarten Licht und dem Geruch von schmelzendem Wachs erfüllen. Du kannst das leise Klirren von Münzen hören, wenn Menschen eine Spende hinterlassen, oder das sanfte Schaben von Stoff, wenn jemand niederkniet. Es ist ein faszinierendes Schauspiel der Hingabe, das sich vor deinen Augen entfaltet. Vielleicht spürst du den Drang, selbst eine Kerze anzuzünden, ihre Wärme in deinen Händen zu fühlen und deine eigenen Gedanken in die Stille des Raumes zu senden. Es ist ein Moment des Innehaltens, der dich mit den Menschen um dich herum verbindet, auch wenn du ihre Sprache nicht sprichst.
Für deinen Besuch dort: Am besten kommst du morgens früh oder am späten Nachmittag, dann ist das Licht am schönsten und es sind weniger Menschen da. Denk an bequeme Schuhe, das Gelände ist groß und man läuft viel. Für Frauen ist es ratsam, einen Schal mitzunehmen, um die Schultern und Haare zu bedecken; Männer sollten lange Hosen tragen. Oft gibt es am Eingang Tücher zum Ausleihen. Taxis fahren bis ganz nach oben, was praktisch ist, da der Weg zu Fuß steil sein kann. Fotos sind meist erlaubt, aber sei drinnen respektvoll und schalte den Blitz aus.
Wenn du die Kathedrale wieder verlässt und die Stufen hinabsteigst, ist die Stadt unter dir immer noch da, aber sie wirkt anders. Die Sonne steht vielleicht schon tiefer, taucht alles in ein warmes, goldenes Licht. Die Geräusche der Stadt kehren langsam zurück, doch sie fühlen sich nun ferner an, gedämpft von der tiefen Ruhe, die du gerade erlebt hast. Du spürst eine angenehme Müdigkeit, aber auch eine stille Erfüllung. Die Weite des Himmels über dir und das Panorama der Stadt unter dir wirken nach, und du nimmst ein Gefühl von Frieden und Gelassenheit mit, das dich noch lange begleitet.
Lina unterwegs