Wann fühlt sich die St. Anna-Kirche in Jerusalem am besten an? Es ist nicht nur der Monat – es ist das Gefühl, das dich umhüllt, der Moment, in dem die Welt draußen verstummt und ein anderer Klang, ein anderes Gefühl die Oberhand gewinnt.
Der beste Moment, um die St. Anna-Kirche wirklich zu erleben, ist nicht unbedingt eine bestimmte Jahreszeit, sondern vielmehr die Tageszeit und die damit verbundene Ruhe.
Stell dir vor: Du läufst durch die Gassen der Altstadt Jerusalems. Draußen ist es vielleicht brütend heiß, die Luft flimmert über den alten Steinen, der Ruf eines Händlers hallt von den Mauern wider, das Gemurmel der Menschen ist ein ständiger Teppich. Du spürst die Sonne auf deiner Haut, riechst den Duft von Gewürzen und das leichte Aroma von Abgasen.
Dann trittst du durch das Tor der St. Anna-Kirche. Und plötzlich, schlagartig, ändert sich alles. Die Hitze weicht einer kühlen, fast feuchten Luft, die sich sofort auf deiner Haut anfühlt wie eine sanfte Umarmung. Du riechst nicht mehr die Stadt, sondern einen Hauch von altem Stein, von Geschichte, von etwas, das seit Jahrhunderten unverändert ist. Es ist ein Geruch von Ruhe und Zeitlosigkeit.
Du hörst nichts mehr – oder fast nichts. Das laute Treiben draußen wird zu einem fernen Flüstern, das von den dicken Mauern geschluckt wird. Und dann hörst du es. Nicht immer, aber wenn du Glück hast, dann hörst du es: Eine einzelne Stimme, die einen Psalm singt, oder einen Chor, der sich in der perfekten Akustik des Raumes entfaltet. Es ist, als würde der Klang dich nicht nur umgeben, sondern durchdringen, in deinen Knochen vibrieren. Die Töne schweben, tanzen und kehren als vollkommener, reiner Widerhall zurück. Für jemanden, der nicht sehen kann, ist das ein Gefühl, als würde der Raum selbst singen, als würde er dich in eine Klangblase hüllen, die nichts anderes zulässt. Du kannst die Schwingungen förmlich spüren.
Die Menschenmassen? Ja, sie kommen und gehen. Manchmal ist die Kirche voll von Gruppen, die staunend lauschen. Aber es gibt immer wieder Momente, besonders am frühen Morgen, kurz nach der Öffnung, oder am späten Nachmittag, kurz vor der Schließung, in denen die Kirche fast leer ist. In diesen Momenten spürst du die pure, unverfälschte Stille. Die Luft ist dann so still, dass du das Gefühl hast, die Zeit selbst würde innehalten. Das ist der Moment, in dem die Kirche am besten *fühlt*.
Das Wetter draußen? Es verstärkt das Gefühl. Wenn es draußen heiß ist, ist die Kühle im Inneren eine Wohltat, ein Segen, der dich erfrischt und erdet. Wenn es draußen bewölkt oder kühl ist, fügt die konstante, ruhige Temperatur im Inneren dem Raum eine tiefe, meditative Schwere hinzu. Es ist immer ein Kontrast, eine Flucht, ein Ort, der sich vom Rest der Welt abhebt. Es ist ein Gefühl der Geborgenheit, umgeben von Jahrtausenden alten Mauern, die unzählige Geschichten gehört haben.
Praktischer Tipp: Um diese Momente der Ruhe und der unglaublichen Akustik zu erleben, versuch, die Kirche direkt nach der Öffnung (meist um 8 Uhr morgens) oder in der letzten Stunde vor der Schließung (oft gegen 17 Uhr) zu besuchen. Das erhöht deine Chancen, die Magie der Stille und vielleicht sogar spontanen Gesang zu erleben, ohne von großen Menschenmassen abgelenkt zu werden. Sei respektvoll und leise – die Stimmung ist heilig.
Liebe Grüße von unterwegs,
Olya aus den Gassen