Stell dir vor, du stehst am Rande einer Wüste, die Luft flimmert leicht über dem staubigen Boden und ein Hauch von Geschichte legt sich wie ein unsichtbarer Schleier über alles. Das ist Memphis, die alte Hauptstadt Ägyptens, ein Ort, an dem die Zeit eine andere Bedeutung hat. Du spürst die Sonne auf deiner Haut, hörst vielleicht das leise Zirpen von Insekten oder das ferne Hupen eines Autos, das dich sanft in die Gegenwart zurückholt. Aber im nächsten Moment tauchst du wieder ein, denn hier, zwischen den Überresten einer einst glorreichen Stadt, beginnt deine Reise zu einem der beeindruckendsten Zeugnisse der Pharaonenzeit.
Du gehst über den sandigen Boden, vorbei an vereinzelten Ruinen, die wie stumme Zeugen einer vergangenen Ära dastehen. Dein Blick fällt auf ein großes, schützendes Gebäude, das sich vor dir erhebt – es ist kein prunkvoller Tempel, sondern eher eine schlichte Halle, die etwas Unvorstellbares in ihrem Inneren birgt. Mit jedem Schritt, den du diesem Bauwerk näherkommst, steigt die Spannung. Die Hitze des Tages scheint hier etwas nachzulassen, und du ahnst, dass dich gleich etwas Kühles und Ehrfurchtgebietendes erwartet. Es ist wie das Eintauchen in eine andere Welt, weg vom grellen Licht und den Geräuschen draußen, hinein in eine Atmosphäre der Stille und Größe.
Und dann stehst du davor. Der Koloss von Ramses II. Er liegt da, auf seinem Rücken, so gigantisch, dass du deinen Kopf in den Nacken legen musst, um ihn ganz zu erfassen. Stell dir vor, du bist ein winziger Punkt neben diesem steinernen Riesen. Du siehst die feinen Details seines Gesichts, die königliche Kobra auf seiner Stirn, die perfekt gemeißelten Lippen, die trotz ihrer Größe eine unheimliche Sanftheit ausstrahlen. Die Beleuchtung in der Halle ist so gewählt, dass sie jede Kontur hervorhebt, Schatten tanzen in den Vertiefungen und lassen die Figur fast lebendig wirken. Du kannst um ihn herumgehen, ihn aus jedem Winkel betrachten und dabei die schiere Masse des Granits spüren, die Jahrtausende überdauert hat. Es ist ein Moment, in dem du die Größe menschlicher Ambition und die Vergänglichkeit der Zeit gleichermaßen fühlst.
Nachdem du den Koloss in dir aufgesogen hast, dreh dich um und geh nur wenige Schritte weiter. Dort, unter einem ähnlichen Schutzdach, findest du die Alabaster-Sphinx. Sie ist nicht so riesig wie der Koloss, aber ihre Eleganz und die makellose Oberfläche des Alabasters sind atemberaubend. Stell dir vor, du streckst die Hand aus und spürst die glatte, kühle Oberfläche des Steins – auch wenn du sie natürlich nicht berühren darfst. Sie strahlt eine ganz andere Art von Macht aus, eine ruhige Würde. Geh langsam um sie herum, betrachte die feinen Schnitzereien, die ihre Löwenpranken und den menschlichen Kopf schmücken. Im Außenbereich, im Garten, sind noch weitere Statuen und Fragmente verstreut – einige beeindruckend, andere weniger. Die meisten davon sind stark verwittert, aber es lohnt sich, einen schnellen Blick darauf zu werfen, besonders auf die kleineren, gut erhaltenen Skulpturen, die oft übersehen werden.
Mein Tipp für deinen Besuch: Konzentrier dich wirklich auf diese beiden Hauptattraktionen – den Koloss und die Sphinx. Die anderen verstreuten Steinfragmente im Freien kannst du dir anschauen, wenn du Zeit hast, aber verbring dort nicht zu viel Zeit, sie sind oft stark beschädigt und erzählen weniger eine Geschichte. Was du dir aber unbedingt für den Schluss aufheben solltest, ist ein zweiter, ruhiger Blick auf den Koloss. Geh noch einmal ganz langsam um ihn herum. Versuch, dir vorzustellen, wie er einst aufrecht stand, der Stolz eines Pharaos, der sich selbst als Gott sah. Diesen Moment der Stille, der Einkehr, nimmst du als letztes mit, bevor du dich wieder der ägyptischen Sonne zuwendest.
Wenn du dann fertig bist, verlass die Anlage mit dem Gefühl, einen echten Giganten der Geschichte getroffen zu haben. Memphis ist kein Ort, an dem du stundenlang von Ruine zu Ruine wanderst, sondern ein Ort der konzentrierten Ehrfurcht vor einigen wenigen, aber dafür umso beeindruckenderen Zeugnissen einer Hochkultur. Plan für den gesamten Besuch vielleicht anderthalb Stunden ein, dann hast du genug Zeit, die Größe auf dich wirken zu lassen, ohne dich gehetzt zu fühlen. Von hier aus ist es auch nicht weit nach Sakkara, falls du deinen Tag noch mit weiteren Pyramiden abrunden möchtest.
Bis zum nächsten Abenteuer,
Olya von den Hinterhöfen