Stell dir vor, du stehst am Lungomare von Neapel, die Sonne wärmt dein Gesicht und eine leichte Brise vom Meer spielt mit deinen Haaren. Dein Blick schweift über das glitzernde Wasser, und da, wie aus dem Nichts, taucht sie auf: die Festung Castel dell'Ovo. Sie ist nicht einfach nur ein Gebäude, sie ist eine alte Seele, die aus dem Meer emporsteigt. Du beginnst deinen Weg über die lange, steinerne Brücke, die sie mit dem Festland verbindet. Mit jedem Schritt spürst du, wie der Lärm der Stadt leiser wird, abgelöst vom rhythmischen Rauschen der Wellen, die sanft gegen die Felsen unter dir schlagen. Es riecht nach Salz, nach Freiheit, nach Jahrtausenden von Geschichten, die diese Mauern schon gesehen haben. Es ist ein Gefühl, als würdest du auf einem Zeitstrahl wandern, direkt hinein in Neapels Herz.
Kaum hast du die Brücke überquert, stehst du vor dem massiven Eingangstor. Es ist, als würde die Zeit selbst einen Moment innehalten, wenn du die Schwelle überschreitest. Der Geruch von feuchtem Stein und alter Geschichte umhüllt dich. Du merkst schnell: Hier geht es nicht um prunkvolle Säle oder goldene Verzierungen. Das Castel dell'Ovo ist roh, ehrlich, gebaut für die Verteidigung. Der erste Innenhof, den du betrittst, ist weitläufig und offen, umgeben von hohen Mauern, die dir eine Ahnung von der schieren Größe dieser Festung geben. Du wirst feststellen, der Eintritt ist frei – nimm dir die Zeit, alles in dich aufzusaugen, ohne Eile.
Von dort aus beginnt dein Aufstieg. Es gibt keine komplizierten Pfade, nur breite, sanft ansteigende Rampen und hier und da ein paar Stufen, die sich spiralförmig nach oben winden. Du spürst die raue Textur des alten Steins unter deinen Fingern, wenn du dich vielleicht kurz abstützt. Die Gänge sind teils offen, teils überdacht, und immer wieder fangen kleine Fenster und Öffnungen den Blick auf das blaue Meer oder die Dächer Neapels ein. Es ist ein stetiges Emporklimmen, das dir Zeit gibt, die Struktur der Burg zu erfassen. Die Innenräume sind meist karg, manchmal werden Ausstellungen gezeigt, aber der eigentliche Schatz sind die Ausblicke, die sich mit jeder Ebene mehr entfalten.
Und dann bist du oben, auf den weitläufigen Terrassen. Plötzlich öffnet sich die Welt vor dir. Du stehst da, der Wind zerzaust dir die Haare, und dein Blick schweift über die gesamte Bucht von Neapel. Rechts der majestätische Vesuv, der wie ein schlafender Riese über allem thront. Links die zackige Skyline der Stadt, die sich wie ein Amphitheater um die Bucht schmiegt. Du hörst das ferne Hupen der Roller, das Gemurmel der Stadt, vermischt mit dem Kreischen der Möwen, die über deinen Köpfen schweben. Es ist ein Gefühl von Weite und Freiheit, als könntest du die ganze Stadt mit einem Blick umfassen. Du spürst die Sonne auf deiner Haut und die schiere Größe dieses Ortes, der seit Jahrhunderten Wache hält.
Um wirklich das Beste herauszuholen, nimm dir die Zeit, den allerhöchsten Punkt zu finden – es ist ein kleiner, aber lohnender Abstecher ganz nach oben, wo oft nur noch wenige Menschen sind. Von hier aus ist die Perspektive noch einmal eine andere, noch umfassender. Du siehst die Fischerboote im Borgo Marinari direkt unter dir wie Spielzeug, die Wellen wie kleine Kräusel auf dem Wasser und die Insel Capri in der Ferne. Das ist der Moment, in dem du tief durchatmest und einfach nur da bist. Halte deine Kamera bereit, aber vergiss nicht, den Moment auch mit deinen eigenen Augen festzuhalten – kein Foto kann dieses Gefühl wirklich einfangen.
Der Abstieg ist entspannter, du kannst die Details, die dir beim Aufstieg vielleicht entgangen sind, in Ruhe auf dich wirken lassen. Und wenn du das Castel dell'Ovo verlässt, lass den Besuch nicht einfach enden. Direkt zu Füßen der Festung liegt der kleine Fischerhafen Borgo Marinari. Der Geruch von frittiertem Fisch und Meeresfrüchten liegt in der Luft, vermischt mit dem Klang klappernder Masten und dem Lachen der Menschen. Hier findest du charmante Restaurants und Bars. Such dir einen Platz direkt am Wasser, bestell dir einen Aperitivo und vielleicht ein paar frische Meeresfrüchte. Es ist der perfekte Abschluss, um das Erlebnis Castel dell'Ovo nachklingen zu lassen – eine Mischung aus Geschichte, Meer und neapolitanischem Leben.
Olya von den Gassen