Stell dir vor, du steigst aus dem Trubel Ho-Chi-Minh-Stadts direkt in eine andere Welt. Cholon, das chinesische Viertel Saigons, packt dich sofort. Dein erster Schritt hier ist wie das Eintauchen in ein warmes, duftendes Bad – nur eben mit Geräuschen, Farben und einem ganz eigenen Puls. Wir starten am Thien Hau Tempel, einem Ort, der dich sofort erdet. Du atmest tief ein, und die Luft ist schwer vom süßen, würzigen Geruch unzähliger Räucherstäbchen, die wie leuchtende Spiralen von der Decke hängen und in der Stille glimmen. Du spürst die kühle, glatte Oberfläche der alten Steine unter deinen Fingerspitzen, während deine Ohren das leise Murmeln von Gebeten und das ferne, rhythmische Klopfen von Holzinstrumenten wahrnehmen. Hier ist es ruhiger, fast besinnlich, ein friedlicher Kontrast zum Chaos draußen. Geh ruhig ein paar Schritte hinein, lass die Atmosphäre auf dich wirken und spüre, wie die Ruhe des Tempels dich umfängt, bevor wir uns ins Getümmel stürzen. Am besten kommst du morgens, da ist es noch nicht so überlaufen und die Hitze drückt noch nicht so sehr.
Wenn du den Tempel verlässt, ändert sich die Geräuschkulisse schlagartig. Du hörst das ständige Summen und Knattern von Motorrollern, die wie ein endloser Fluss an dir vorbeiziehen, das helle Klingeln von Fahrradglocken und das geschäftige Rufen der Straßenhändler. Die Luft wird dichter, ein Mix aus Abgasen, frisch gebratenem Essen und dem scharfen Duft von Kräutern und Gewürzen. Deine Augen müssen sich erst an das ständige Wuseln gewöhnen, während du dich durch die engen Gassen schlängelst. Spüre, wie die Menschenmassen dich sanft vorwärtsschieben, ein ständiger Strom, dem du dich einfach anvertrauen kannst. Achte auf die kleinen Details: die kunstvoll gestapelten Waren vor den Geschäften, die alten, verwitterten Fassaden mit ihren bunten Schildern. Bleib einfach aufmerksam, besonders wenn du die Straße überquerst – hier gibt es keine Ampeln, nur einen Tanz aus Vertrauen und fließender Bewegung.
Unser Weg führt uns direkt ins Herz von Cholon: den Binh Tay Markt. Stell dir vor, du betrittst eine riesige, überdachte Halle, in der die Geräuschkulisse eine eigene Sinfonie bildet: das laute Feilschen der Händler, das Klappern von Geschirr, das Rascheln von Stoffen und das ständige Stimmengewirr. Deine Nase wird von einem Wirbelsturm aus Gerüchen überwältigt: der süßliche Duft von Trockenfrüchten, der scharfe Geruch von getrocknetem Fisch, der erdige Geruch von frischem Gemüse und die würzigen Aromen der Garküchen. Du spürst die Wärme der Luft, die von den vielen Menschen und den offenen Ständen aufsteigt. Lass dich treiben, berühre die rauen Jutesäcke voller Gewürze, die glatten Oberflächen von Seidenstoffen oder die festen Strukturen von Körben. Hier geht es nicht nur ums Kaufen, sondern ums Erleben. Nimm dir Zeit, die Energie aufzusaugen und die unzähligen Details zu beobachten. Handeln ist hier üblich, aber immer freundlich und mit einem Lächeln.
Nach all den Eindrücken knurrt bestimmt der Magen. Und Cholon ist der perfekte Ort, um deine Geschmacksnerven auf eine Entdeckungsreise zu schicken. Stell dir vor, du sitzt an einem kleinen Plastiktisch am Straßenrand, das Geräusch des Verkehrs ist noch da, aber übertönt vom Löffelklappern und dem zufriedenen Schlürfen deiner Tischnachbarn. Du bekommst eine dampfende Schüssel Mi Vit Tiem, eine Entennudelsuppe, vor dich gestellt. Der erste Bissen: die herzhafte, leicht süßliche Brühe wärmt dich von innen, die zarten Nudeln gleiten über die Zunge, und das Entenfleisch ist so weich, dass es fast zerfällt. Dazu der frische, knackige Biss von Kräutern. Oder vielleicht entscheidest du dich für Dim Sum, kleine, gedämpfte Köstlichkeiten, die vor Geschmack nur so strotzen. Such dir einfach den Stand aus, wo die Einheimischen Schlange stehen – das ist immer ein gutes Zeichen für frisches, leckeres Essen. Überspringe die großen, touristischen Restaurants; die wahren Schätze findest du in den kleinen Garküchen, die oft nur ein Gericht perfektionieren.
Um den Tag ausklingen zu lassen und all die Eindrücke zu verarbeiten, suchen wir uns ein ruhiges Café. Stell dir vor, du sitzt auf einem kleinen Hocker, vielleicht auf einem Balkon, und spürst einen leichten Windhauch, der die Wärme des Tages vertreibt. Das Geräusch der Straße wird leiser, fast wie ein fernes Rauschen. Vor dir steht ein Glas mit vietnamesischem Eiskaffee – cà phê sữa đá. Du hörst das leise Klirren der Eiswürfel, wenn du den Löffel eintauchst, um den starken, dunklen Kaffee mit der süßen Kondensmilch zu verrühren. Der erste Schluck ist eine Explosion von Süße und Bitterkeit, die dich belebt und gleichzeitig zur Ruhe kommen lässt. Es ist der perfekte Moment, um das Erlebte Revue passieren zu lassen, die Farben, die Gerüche, die Geräusche noch einmal im Kopf durchzugehen und die besondere Energie von Cholon nachklingen zu lassen. Das ist der Moment, den du dir für den Schluss aufheben solltest: die Ruhe nach dem Sturm, die Süße des Moments. Von hier aus ist es auch einfach, mit einem Grab oder Taxi zurück in dein Hotel zu kommen.
Lina unterwegs.