Stell dir vor, du stehst am V&A Waterfront in Kapstadt, der Wind streicht dir übers Gesicht und bringt den salzigen Geruch des Atlantiks mit sich. Du spürst die leichte Schaukelbewegung unter deinen Füßen, noch bevor das Schiff ablegt. Die Sonne wärmt deine Haut, während du dich vom geschäftigen Hafen entfernst. Hör mal, wie das gleichmäßige Brummen der Schiffsmotoren dich in eine andere Welt trägt. Der Tafelberg wird kleiner und kleiner, seine majestätische Präsenz weicht einer weiten, offenen See. Du schmeckst das Salz auf deinen Lippen und spürst die Gischt, die manchmal sanft über die Reling schwappt. Die Insel vor dir, Robben Island, wirkt erst unscheinbar, doch du spürst schon jetzt die Schwere ihrer Geschichte, die sich wie ein feiner Schleier über das Wasser legt. Das ist der Beginn einer Reise, die nicht nur deine Augen, sondern auch dein Herz öffnen wird.
Wenn du dann auf der Insel ankommst und den ersten Schritt auf festen Boden setzt, umfängt dich sofort eine andere Atmosphäre. Der Wind hier ist rauer, die Geräusche der Stadt sind verstummt, nur das Kreischen der Möwen und das Rauschen der Wellen bleiben. Du steigst in einen der Busse, die dich über die Insel fahren. Dein Guide ist oft ein ehemaliger politischer Gefangener, und das ist der Moment, wo die Geschichte lebendig wird. Hör genau zu, wenn er spricht, denn das sind keine trockenen Fakten aus einem Buch, das ist gelebtes Schicksal. Er wird dir zeigen, wo die Gefangenen Steine klopfen mussten, wie die karge Landschaft aussieht, und du wirst die Isolation fast körperlich spüren, die diese Männer hier ertragen mussten. Es ist ein Spaziergang durch die äußere Hülle der Insel, der dich auf das vorbereitet, was noch kommt, und dir die Weite und Einsamkeit des Ortes näherbringt. Konzentrier dich auf die persönlichen Erzählungen deines Guides – sie sind der Schlüssel zum Verständnis.
Nach der Busfahrt betrittst du den Gefängniskomplex. Hier beginnt der eigentliche, tiefgreifende Teil der Reise zu Fuß. Du gehst durch die Gänge, die einst von Wärtern und Gefangenen gleichermaßen betreten wurden. Spür die Kühle der alten Steinmauern, hör das Echo deiner eigenen Schritte, das sich in der Stille verliert. Die Zellen sind klein, karg, und du kannst dir kaum vorstellen, wie es war, hier Tag für Tag, Jahr für Jahr zu leben. Wenn du mit den Fingern über die rauen Wände streichst, versuch dir vorzustellen, wie viele Hände das vor dir getan haben, Hände, die Schmerz, Hoffnung und Widerstand kannten. Dein Guide, ebenfalls ein ehemaliger Gefangener, wird dich durch die Blöcke führen. Er wird dir seine eigene Zelle zeigen, dir erzählen, wie sie ihre Tage verbrachten, wie sie sich organisierten, wie sie trotz allem Menschlichkeit bewahrten. Das ist der Moment, in dem du die physische Enge und die psychische Weite des Überlebens spürst.
Der Höhepunkt dieses Weges, den du unbedingt für den Schluss aufheben solltest, ist die Zelle B5 – Nelson Mandelas Zelle. Sie ist winzig, nur ein paar Quadratmeter groß, mit einer dünnen Matte auf dem Boden und einem einfachen Tisch. Wenn du hineinschaust, spürst du die Enge, die Stille, die diesen Ort umgibt. Es ist ein Ort der immensen Würde und des unbändigen Willens. Bleib einen Moment stehen, schließe die Augen und versuch, die Präsenz dieses Mannes zu fühlen, der hier 27 Jahre seines Lebens verbrachte. Später, auf dem Weg zurück zum Fähranleger, wirst du am Steinbruch vorbeikommen, wo Mandela und seine Mitgefangenen jahrelang Steine klopften. Stell dir die blendende Sonne vor, den Staub, der in der Luft lag, das monotone Geräusch der Hämmer. Es ist ein harter, physischer Ort, der die Brutalität des Systems verdeutlicht, aber auch die unzerstörbare Kraft des menschlichen Geistes. Hier spürst du die Verbindung zwischen physischer Arbeit und geistigem Widerstand.
Wenn du dann wieder auf dem Schiff sitzt und Robben Island langsam hinter dir verschwindet, während der Tafelberg immer größer und klarer wird, wirst du spüren, wie sich etwas in dir verändert hat. Der Wind fühlt sich anders an, die Sonne wärmt anders. Es ist nicht nur eine Insel, die du besucht hast, es ist eine tiefgreifende Erfahrung. Nimm dir die Zeit auf der Rückfahrt, um alles sacken zu lassen. Vielleicht schreibst du ein paar Gedanken auf, die dir durch den Kopf gehen. Es ist keine fröhliche Reise, aber eine unglaublich wichtige, die dir die Stärke des menschlichen Geistes und die Bedeutung von Freiheit auf eine Weise nahebringt, die kein Geschichtsbuch je könnte.
Lena auf Tour