Stell dir vor, du stehst plötzlich nicht mehr auf dem staubigen, belebten Weg von Pompeji, sondern vor einem gewaltigen Eingang, der dich in eine andere Zeit katapultiert. Du spürst sofort, wie die Luft kühler wird, die Geräusche der Menschen draußen verstummen fast und weichen einer tiefen, ehrfürchtigen Stille. Du gehst durch einen dunklen Gang, und dann öffnet sich vor dir ein riesiger Halbkreis aus Stein, der sich zu einem tiefblauen Himmel wölbt. Das ist das Große Theater, und es empfängt dich mit einer Umarmung aus Geschichte. Hier beginnen wir unseren Weg, nicht als Touristen, sondern als Zeitreisende, die die Seele dieses Ortes spüren wollen.
Geh langsam die alten Stufen hinauf, die schon Tausende von Füßen vor dir betreten haben. Du kannst die glatt geschliffenen Steine unter deinen Sohlen fühlen, warm von der Sonne, aber kühl im Inneren. Such dir eine Reihe aus, vielleicht nicht die allererste, sondern ein paar weiter oben, wo du das ganze Ausmaß dieser Bühne erfassen kannst. Setz dich einen Moment hin, schließe die Augen und stell dir vor, wie hier vor fast 2000 Jahren Tausende von Römern saßen, lachten, weinten, fieberten. Du hörst vielleicht das leise Flüstern des Windes, der durch die Ränge streicht, und es klingt fast wie ein Echo der längst vergangenen Stimmen. Atme tief ein – riechst du den Hauch von Altertum, vermischt mit dem Duft der mediterranen Pflanzen, die sich hier und da zwischen den Steinen ihren Weg bahnen?
Danach steige hinunter zur Bühne, zum *Orchestra*. Das ist der Ort, wo die Magie passierte. Stell dir vor, wie die Schauspieler hier standen, ihre Stimmen in die Menge trugen, wie die Musik erklang. Du kannst die raue Textur der Steinplatten unter deinen Händen fühlen, wenn du sie berührst. Geh bis ganz nach vorne, zum Rand der Bühne, und blicke zurück zu den Rängen. Du wirst spüren, wie klein du bist und gleichzeitig Teil von etwas Riesigem. Achte auf die kleinen Nischen und Verzierungen an der Rückwand der Bühne, der *Scaenae frons* – das war die beeindruckende Kulisse, vor der sich alles abspielte. Hier kannst du dir am besten vorstellen, wie lebendig dieser Ort einst war.
Direkt neben dem Großen Theater, durch einen weiteren unscheinbaren Gang, gelangst du in den *Quadriporticus*, die sogenannte Gladiatorenkaserne. Das ist ein starker Kontrast zum Glanz des Theaters. Hier herrscht eine andere Art von Stille, eine bedrücktere. Stell dir vor, wie die Gladiatoren hier lebten, trainierten, ihre Waffen polierten. Du siehst die kleinen Zellen, in denen sie wohnten, und spürst die Enge und die harte Realität ihres Lebens. Es ist ein Ort der Vorbereitung und des Wartens, weit entfernt vom Jubel der Menge, aber untrennbar mit dem Spektakel verbunden. Nimm dir einen Moment Zeit, um die Schwere dieses Ortes auf dich wirken zu lassen.
Als Letztes, bevor wir das Theaterareal verlassen, wirf einen schnellen Blick in das *Odeon*, das kleine Theater, das sich gleich neben dem Großen befindet. Es ist viel intimer, für musikalische Darbietungen und Lesungen gedacht. Du wirst sehen, dass es die gleiche Form hat, aber in viel kleinerem Maßstab. Es ist ein schöner Abschluss, um die Vielfalt der Unterhaltung in Pompeji zu verstehen. Es muss nicht lange sein, aber es rundet das Bild ab. Wenn du dann das Theaterareal verlässt, dreh dich noch einmal um und nimm das gesamte Ensemble in dich auf – das Große Theater, das kleine Odeon und die Gladiatorenkaserne. Du hast nicht nur Steine gesehen, sondern eine ganze Welt erlebt, die hier einst pulsierte.
Léa from the road