Stell dir vor, du stehst vor einem Tor, das nicht einfach nur ein Eingang ist, sondern eine Schwelle zu einer anderen Zeit. Wenn du nach Pompeji kommst, dann nicht, um eine Liste abzuhaken, sondern um zu fühlen, zu hören, zu riechen – um diese alte Stadt mit jedem deiner Sinne zu erleben. Beginnen wir unsere Reise durch die Echos der Vergangenheit direkt am Porta Marina Superiore, dem Hauptzugang. Schon der erste Schritt auf dem unebenen Kopfsteinpflaster lässt dich spüren, wie alt dieser Boden ist, wie viele Füße vor dir diesen Weg gegangen sind. Du hörst vielleicht nur das Knirschen deiner eigenen Schritte, aber lass deine Vorstellungskraft freien Lauf, und du kannst das Gemurmel der Händler, das Klappern der Karren und das Lachen der Kinder hören, die hier vor fast 2000 Jahren lebten. Die Luft ist oft warm und trägt den Duft von Pinien und der nahen See, vermischt mit dem staubigen Geruch der Jahrhunderte.
Du gehst ein Stück bergauf und dann öffnet sich plötzlich alles vor dir: Das Forum, das pulsierende Herz der antiken Stadt. Stell dir vor, wie die Sonne auf den Marmorplatten tanzte, als hier das Leben tobte. Du stehst inmitten einer riesigen, leeren Fläche, umgeben von den beeindruckenden Überresten von Tempeln, Basiliken und öffentlichen Gebäuden. Es ist ein Gefühl der Weite und gleichzeitig der tiefen Ehrfurcht. Der Vesuv thront majestätisch im Hintergrund, eine stille, aber allgegenwärtige Erinnerung an das, was hier geschah. Nimm dir einen Moment, schließ die Augen und versuch, die Energie dieses Orkes zu spüren, die Gespräche, die Entscheidungen, die hier getroffen wurden, die Gebete, die hier gesprochen wurden. Die Stille, die heute herrscht, ist selbst ein Echo des Schocks, der diese Stadt für immer zum Schweigen brachte.
Vom Forum aus tauchen wir ein in den Alltag der Pompeiianer. Folge den alten Straßen und du kommst zu den Stabianischen Thermen. Hier kannst du wirklich spüren, wie die Menschen lebten. Stell dir vor, wie das Wasser in den Becken plätscherte, wie der Dampf in der Luft hing und wie die Gespräche und das Gelächter in den Umkleidekabinen widerhallten. Fühl die kühle Oberfläche der Steinbänke, auf denen sich die Badegäste ausruhten. Ein paar Gassen weiter, etwas versteckter, findest du das Lupanar, das antike Bordell. Es ist klein, oft überfüllt und die Darstellungen an den Wänden sind direkt. Für mich ist es nicht nur eine Sehenswürdigkeit, sondern ein Fenster in eine Seite des Lebens, die auch damals existierte und die oft ignoriert wird. Es zeigt, wie offen die Gesellschaft mit bestimmten Aspekten umging, selbst wenn sie uns heute vielleicht schockieren mögen. Es ist ein Ort, der dir die Menschlichkeit und auch die Verletzlichkeit der Menschen hier näherbringt.
Weiter geht es zu den prächtigen Wohnhäusern, die zeigen, wie wohlhabend Pompeji einst war. Die Casa del Fauno (Haus des Fauns) ist eines der größten und beeindruckendsten. Du gehst durch die weitläufigen Höfe, siehst die Reste der Mosaike auf dem Boden – stell dir vor, wie hier prunkvolle Bankette gefeiert wurden, wie Bedienstete durch die Gänge eilten und wie das Leben der reichen Familien aussah. Die schiere Größe lässt dich staunen. Viele der kleineren Details und Kunstwerke, die hier gefunden wurden, sind heute im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel, aber die Struktur und die Atmosphäre des Hauses selbst sind unglaublich eindringlich. Wenn du wenig Zeit hast, kannst du kleinere Häuser überspringen, aber dieses hier solltest du nicht verpassen, es vermittelt ein unglaubliches Gefühl für den damaligen Lebensstil.
Am östlichen Rand der Stadt findest du das gewaltige Amphitheater, das älteste bekannte römische Amphitheater aus Stein. Stell dich in die Arena, schließe die Augen und du hörst das ohrenbetäubende Gebrüll der Menge, das Klirren der Schwerter, das Stampfen der Pferdehufe. Fühl die Größe dieses Ortes, die Tausende von Menschen, die hier Platz fanden, um Gladiatorenkämpfe und Spektakel zu sehen. Direkt daneben liegt die Große Palästra, ein riesiger Übungsplatz für Athleten. Stell dir vor, wie junge Männer hier trainierten, wie der Schweiß in der Sonne glänzte und die Rufe der Trainer über den Platz hallten. Es ist ein Ort der körperlichen Anstrengung und des Wettbewerbs, der im krassen Gegensatz zur Stille der umgebenden Ruinen steht.
Und für den letzten, tiefsten Eindruck, den du von Pompeji mitnehmen wirst, gehen wir zum Orto dei Fuggiaschi – dem Garten der Flüchtlinge. Diesen Ort bewahre ich mir immer für den Schluss auf, weil er so unglaublich ergreifend ist. Hier siehst du die Gipsabdrücke von Menschen, die im Moment des Ausbruchs vom Ascheregen überrascht wurden. Du siehst ihre Körperhaltungen, ihre Gesichter in den letzten Sekunden ihres Lebens – eine Frau, die ihr Kind schützt, ein Mann, der sich die Hände vors Gesicht hält. Die Stille hier ist anders als anderswo, sie ist schwer und voller Trauer. Du fühlst eine tiefe Verbindung zu diesen Menschen, die einfach nur ihr Leben lebten, als die Katastrophe sie ereilte. Es ist ein Ort, der dich nicht loslässt und dir die wahre Tragödie von Pompeji auf eine Weise vor Augen führt, die kein Buch und keine Beschreibung kann. Nimm dir hier wirklich Zeit, atme tief ein und lass es auf dich wirken.
Ein Tipp noch: Trage bequeme Schuhe, nimm viel Wasser mit und einen Hut, denn die Sonne kann erbarmungslos sein. Es gibt nur wenige Schattenplätze. Und hab keine Angst, dich zu verlaufen – oft sind die kleinen, weniger besuchten Gassen die, die dir die schönsten, unerwarteten Eindrücke schenken.
Deine Léa von unterwegs