Stell dir vor, wie die Fähre sanft über den Bosporus gleitet. Du spürst die leichte Gischt auf deinem Gesicht, hörst das Kreischen der Möwen über dir. Und dann, langsam, taucht es vor dir auf: Haydarpaşa. Nicht einfach nur ein Gebäude, sondern ein Monument aus Stein, das sich majestätisch vom Wasser erhebt, als würde es dich in eine andere Zeit ziehen. Es ist dieser Moment, wenn die Sonne die goldene Fassade streichelt und du weißt: Hier beginnt die Reise, auch wenn kein Zug fährt. Am einfachsten kommst du mit der Fähre von Eminönü oder Karaköy hierher. Dein Startpunkt ist der kleine Fähranleger direkt vor dem Bahnhof. Von dort aus hast du den besten Blick auf das gesamte Gebäude, bevor du auch nur einen Schritt hineinwagst.
Gehe langsam um das Gebäude herum, spüre die Größe dieses Ortes. Deine Hand streicht vielleicht über den warmen Stein, während du die kunstvollen Details der neo-klassischen Architektur bewunderst. Es ist, als würde dieser Bau Geschichten flüstern – von Abschieden, Wiedersehen, von Menschen, die hier ihre Heimat verließen, um Anatolien zu entdecken. Du hörst das leise Rauschen des Wassers, das sich mit dem Wind in den hohen Türmen vermischt. Es ist ein Ort der Sehnsucht. Nimm dir die Zeit, die gesamte Fassade zu umrunden. Die Perspektiven ändern sich mit jedem Schritt, und du wirst immer wieder neue Details entdecken. Von der Ostseite hast du oft einen tollen Blick zurück auf die europäische Seite Istanbuls, besonders am späten Nachmittag.
Wage den Schritt ins Innere. Die riesige Haupthalle empfängt dich mit einer Stille, die fast schon andächtig ist. Dein Blick wandert unweigerlich nach oben, zu den hohen Decken, durch die das Licht wie durch Kirchenfenster fällt. Stell dir vor, wie hier einst das geschäftige Treiben von Reisenden widerhallte, das Klappern von Koffern, das Murmeln von Gesprächen in hundert Sprachen. Jetzt hörst du vielleicht nur dein eigenes Echo, das sich in der Weite verliert. Es riecht nach altem Stein, nach Geschichte, vielleicht ein Hauch von Meeresluft, der durch die offenen Türen zieht. Erwarte hier keine belebte Bahnhofshalle. Die Fernzüge fahren von hier schon lange nicht mehr ab. Es ist eher ein Museum der Zeit. Achte auf die originalen Elemente wie die Fliesenmuster am Boden oder die alten Schalter, auch wenn sie nicht mehr in Betrieb sind. Es ist ein Ort zum Innehalten und Staunen, nicht zum Hetzen.
Gehe hinaus auf die Bahnsteige. Du spürst den Wind, der über die leeren Gleise pfeift. Stell dir vor, wie hier einst Dampflokomotiven schnauften, wie Menschen sich von ihren Lieben verabschiedeten, bevor sie in die Ferne rollten. Es ist eine melancholische Schönheit, die hier liegt – das Versprechen ferner Orte, das nie ganz eingelöst wurde, seit der Bahnhof nicht mehr aktiv ist. Dein Blick schweift über die stillen Schienen, die sich bis zum Horizont zu erstrecken scheinen, und du fühlst die Schwere der unzähligen Geschichten, die sie gesehen haben. Du kannst die Bahnsteige entlanglaufen und die Stille genießen. Von hier aus hast du auch einen schönen, unverstellten Blick auf den Bosporus. Der Bahnhof wird momentan umfassend restauriert, und es gibt Pläne, ihn in ein Kulturzentrum oder Museum umzuwandeln. Informiere dich vorab, ob alle Bereiche frei zugänglich sind, da sich das ändern kann.
Für den krönenden Abschluss, geh noch einmal zum Wasser zurück, vielleicht ein kleines Stück am Ufer entlang. Lass den Blick über den weiten Bosporus schweifen, sieh die Schiffe, die langsam vorbeiziehen, und die Skyline der europäischen Seite, die im Dunst verschwimmt. Spür die Sonne auf deinem Gesicht und die frische Brise, die dir durch die Haare fährt. Hier, an diesem Punkt zwischen zwei Kontinenten, wo einst Züge in die Ferne fuhren und Schiffe anlegten, spürst du die wahre Seele Istanbuls – eine Mischung aus Melancholie, Hoffnung und unendlicher Weite. Dieser Bereich am Wasser ist perfekt, um einfach nur dazusitzen und die Aussicht zu genießen. Es gibt ein paar Bänke, und manchmal findest du kleine Stände, die Tee oder einen Snack anbieten. Das ist der ideale Ort, um deinen Besuch in Haydarpaşa ausklingen zu lassen und die Eindrücke sacken zu lassen.
Clara von der Küste