Stell dir vor, du stehst noch auf dem Kopfsteinpflaster des Warschauer Altstadtmarktes. Die Geräusche der Stadt, das Gemurmel der Menschen, das Klappern von Pferdekutschen – all das ist noch ganz nah. Dann trittst du durch die mächtigen Türen der Johanneskathedrale. Der Boden unter deinen Füßen wird schlagartig glatt, kühl. Du spürst sofort, wie die Wärme des Tages von dir abfällt, die Luft hier drinnen ist anders, schwerer, erfüllt von einem leichten Weihrauchduft und dem Geruch von altem Stein. Das Kopfsteinpflaster draußen ist plötzlich weit weg, und du stehst in einem riesigen, stillen Raum, der sich vor dir ausbreitet.
Der Hauptgang erstreckt sich vor dir, eine breite, fast endlose Bahn aus poliertem Stein, die dich förmlich in die Tiefe der Kathedrale zieht. Deine Schritte hallen leise wider, nicht laut und störend, sondern eher wie ein sanftes Echo, das die Stille nur noch mehr betont. Du merkst, wie deine Augen sich an das gedämpfte Licht gewöhnen, das durch hohe Fenster fällt und den Weg vor dir in weichen Bahnen erhellt. Dieser zentrale Pfad ist wie eine Lebensader, breit genug, dass du dich frei bewegen kannst, ohne dich eingeengt zu fühlen. Er ist darauf ausgelegt, dich direkt zum Herzen der Kathedrale zu führen, ohne Umwege.
Rechts und links zweigen schmalere Gänge ab, fast wie kleine, intime Kammern, die sich vom Hauptstrom lösen. Hier ist der Stein unter deinen Füßen rauer, manchmal leicht uneben, als ob jede Unebenheit eine Geschichte zu erzählen hätte. Die Luft fühlt sich hier oft noch älter an, ein bisschen kühler, und die Geräusche des Hauptschiffs verstummen fast. Du kannst die Details der Seitenkapellen ertasten, die Nischen, die Statuen, die oft in ein noch gedämpfteres Licht getaucht sind. Diese Pfade sind nicht dazu da, dich schnell vorwärts zu bewegen, sondern laden dazu ein, innezuhalten, die Hand an den kühlen Stein zu legen und die Ruhe auf dich wirken zu lassen.
Der Hauptgang führt dich unweigerlich nach vorne, wo sich der Raum weitet und emporhebt, und du spürst, wie du langsam aufsteigst – ein paar Stufen aus glattem, abgenutztem Stein führen dich zum Altarbereich. Der Boden hier ist noch makelloser, fast spiegelnd, und die Akustik verändert sich leicht, als ob jeder Laut hier eine besondere Bedeutung hätte. Du stehst auf dem Höhepunkt des Raumes, umgeben von einer Aura der Erhabenheit. Es ist ein Punkt der Sammlung, der dich einlädt, den Blick schweifen zu lassen und die gesamte Pracht der Kathedrale in dich aufzunehmen, bevor du dich wieder dem Ausgang zuwendest.
Ganz am Ende, oft etwas versteckt, findest du den Abstieg in die Krypta. Hier ist der Pfad ein deutlicher Bruch zum Rest der Kathedrale. Du tastest dich eine schmale, steile Treppe hinab, deren Stufen oft ungleichmäßig sind, einige stärker abgetreten als andere. Die Luft wird schwerer, kühler, und deine Schritte hallen anders, tiefer, in der feuchten Dunkelheit. Der Boden unter dir ist hier oft noch rauer, vielleicht sogar blanker Erdboden oder sehr alte, unbehauene Steinplatten, die dich daran erinnern, wie tief du in die Geschichte eintauchst. Es ist ein Gefühl, als würdest du in die Eingeweide der Erde hinabsteigen, ein ganz anderes, intimes Erlebnis als der offene Raum oben.
Lena auf Reisen