Stell dir vor, du lässt den Trubel Mailands hinter dir und fährst Richtung Norden, dem Lago d'Orta entgegen. Schon die Anfahrt ist wie eine Umarmung: Die Straßen werden kleiner, die Hügel grüner, und dann, plötzlich, liegt er da – der Ortasee. Es ist nicht die riesige, majestätische Weite des Comer Sees, sondern eher ein intimes, glitzerndes Geheimnis, das sich sanft in die Landschaft schmiegt. Park dein Auto am besten etwas außerhalb von Orta San Giulio, denn die Gassen hier sind nicht für Blechdosen gemacht. Oder noch besser: Nimm den Zug bis Omegna und dann den Bus oder ein Taxi. Das entschleunigt dich sofort und du spürst schon beim Aussteigen die ruhigere, fast schon verträumte Atmosphäre dieses Ortes.
Du schlenderst durch die engen, gepflasterten Gassen von Orta San Giulio, und der Duft von altem Stein, gemischt mit einem Hauch von frischer Seeluft und dem Aroma von Espresso aus einem der kleinen Cafés, umhüllt dich. Stell dir vor, wie deine Füße auf den unregelmäßigen Kopfsteinpflastern sanft federn, während du dich durch ein Labyrinth aus Bögen und Durchgängen schlängelst. Überall blühen Geranien in terracottafarbenen Töpfen, und du hörst das leise Gemurmel der Einheimischen. Am Ende landest du auf der Piazza Motta, dem Herzen des Ortes. Hier pulsiert das Leben, aber auf eine ganz entspannte Art. Setz dich auf eine Bank, lass die Sonne dein Gesicht wärmen und beobachte die Boote, die sanft im Wasser schaukeln. Es ist dieser Moment, in dem du merkst: Hier bist du angekommen.
Vom Ufer der Piazza Motta aus siehst du sie schon: die Isola San Giulio, die wie ein grünes Juwel aus dem See ragt. Nimm eines der kleinen Boote, die regelmäßig übersetzen – die Fahrt dauert nur ein paar Minuten und ist so erfrischend! Du spürst den leichten Wind im Haar und siehst, wie das Wasser um den Bug sprüht. Es ist ein kurzer Übergang von der belebten Piazza zur friedlichen Stille der Insel, fast wie ein Sprung in eine andere Welt. Die Kosten sind minimal, und die Boote fahren oft genug, dass du nie lange warten musst. Lass dich einfach treiben und freu dich auf das, was kommt.
Auf der Isola San Giulio angekommen, tauchst du ein in den "Weg der Stille und Meditation". Die Insel ist klein, aber jeder Schritt hier hat eine Bedeutung. Du gehst den einzigen Rundweg entlang, vorbei an alten Mauern und durch schmale Gassen. Immer wieder begegnen dir Sprüche, die zum Nachdenken anregen – mal aufmunternd, mal nachdenklich. Die Luft ist hier noch klarer, und du hörst nur das Plätschern des Sees und vielleicht das Zwitschern der Vögel. Nimm dir Zeit, die Basilika San Giulio zu besuchen; ihre romanische Architektur und die Fresken sind beeindruckend. Aber vor allem: Atme tief ein und lass die Ruhe auf dich wirken. Das ist der Moment, in dem du dich wirklich erden kannst.
Nachdem du die Insel und ihre Stille genossen hast, geht es zurück aufs Festland. Von Orta San Giulio aus führt ein wunderschöner, wenn auch leicht ansteigender Weg hinauf zum Sacro Monte. Es ist kein anstrengender Marsch, aber zieh bequeme Schuhe an, denn es geht stetig bergauf. Der Weg ist gesäumt von Kapellen, die das Leben des Heiligen Franz von Assisi darstellen, und jede ist ein kleines Kunstwerk für sich. Du spürst die Energie dieses Ortes, die Mischung aus Natur und Spiritualität. Der Duft der Pinienbäume mischt sich mit der feuchten Erde, und das Sonnenlicht filtert durch die Blätter. Es ist ein Spaziergang, der dich Schritt für Schritt entschleunigt und auf den Höhepunkt vorbereitet.
Oben auf dem Sacro Monte angekommen, wirst du belohnt. Der Panoramablick über den Ortasee und die umliegende Landschaft ist atemberaubend. Du siehst die Insel San Giulio von oben, wie ein kleiner Punkt im glitzernden Blau. Die Luft hier oben ist frisch und klar, und du hörst nur noch das leise Rauschen des Windes. Setz dich auf eine der Bänke, lass deinen Blick schweifen und genieße die unendliche Weite. Es ist der perfekte Ort, um innezuhalten, die Erlebnisse des Tages Revue passieren zu lassen und einfach nur zu sein. Die Kapellen hier oben sind oft offen, und du kannst einen Blick hineinwerfen, um die kunstvollen Darstellungen zu bewundern.
Um den Tag perfekt abzurunden, würde ich dir empfehlen, das Abendessen nicht in den überfüllten Restaurants direkt an der Piazza zu suchen. Such dir stattdessen eine kleine Trattoria in einer der Seitengassen von Orta San Giulio. Dort findest du die authentischere Küche und kannst lokale Spezialitäten wie frischen Fisch aus dem See probieren. Was du unbedingt überspringen solltest, sind die generischen Souvenirläden mit Plastikkram – sie passen einfach nicht zur Seele dieses Ortes. Konzentrier dich stattdessen auf das Handwerk und die lokalen Produkte. Und was du dir unbedingt bis zum Schluss aufheben solltest: den Sonnenuntergang vom Sacro Monte aus oder einen letzten ruhigen Spaziergang entlang des Seeufers, wenn die Lichter der Häuser sich im Wasser spiegeln. Das ist der Moment, in dem sich die Magie des Lago d'Orta für immer in dein Herz gräbt.
Bis zum nächsten Abenteuer,
Olya von den Seitenstraßen